Sind Sie kürzlich auf E-Pics Bildarchiv auf das neue Wasserzeichen „Sensibler Inhalt – Für wissenschaftliche Zwecke auf Anfrage verfügbar“ gestossen und haben sich gefragt, was das bedeutet? In diesem etwas längeren Blogbeitrag möchten über die Hintergründe und die Massnahmen berichten, die wir ab Mitte November 2024 umgesetzt haben.
Ausgangslage
In verschiedenen Beständen des Bildarchivs finden sich Bilder mit diskriminierenden, rassistischen oder sexualisierenden Inhalten und Metadaten, die auch in kolonialen Kontexten entstanden sein können. Sie spiegeln die Erforschung von Menschen und Kulturen mit wissenschaftlichen Methoden und Begriffen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts wider und stellen dabei Menschen in einer Weise dar, die heute als verletzend empfunden werden kann. Klassischerweise sind sie in den Nachlässen von Forschungsreisenden aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, etwa der Geologen Arnold Heim (1882–1965) und Leo Wehrli (1870–1954), dem Flugpionier Walter Mittelholzer (1894–1937), dem Vulkanologen Immanuel Friedländer (1891–1941) oder dem Hydrobiologen Otto Jaag (1900–1978) enthalten. Diskriminierende Bildinhalte und Metadaten finden sich auch bei der Pressebildagentur Comet Photo AG (1954–1999), auf Postkarten und anderen wissenschaftlichen Fotografien.
Interne Arbeitsgruppen
Die ETH-Bibliothek nimmt mit ihren Sammlungen und Archiven eine aktive Rolle im Diskurs um das koloniale Erbe ein. Eine interne Arbeitsgruppe hat parallel zur Vorbereitung der Ausstellung Koloniale Spuren – Sammlungen im Kontext (August 2024-Juli 2025) im extract einen Praxisleitfaden zum kolonialen Erbe erarbeitet. Das Bildarchiv der ETH-Bibliothek hat als Teil der Arbeitsgruppe seine Erschliessungs- und Publikationspraxis hinterfragt und erstmals publizistische Leitlinien für den Umgang mit „sensiblen Bildern“ erarbeitet. Julia Hintermüller und Nicole Graf (Stv.) haben in der Arbeitsgruppe mitgearbeitet.
Parallel dazu haben wir im Sommer 2024 zwei interne Workshops im Bildarchiv durchgeführt, um uns gegenseitig zu sensibilisieren, zu schulen und ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln. Dass es dabei auch mal hitzig zuging, sollte nicht unerwähnt bleiben. Aber wir haben auch relativ schnell einen gemeinsamen Konsens gefunden. Ausserdem haben wir geeignete Massnahmen erarbeitet, die auch technisch umsetzbar sind. In einem dritten Workshop konnten wir zudem mit dem erfahrenen Bildredakteur Martin Müller über sensible Bilder und den Umgang damit in der Presse diskutieren und in unsere Massnahmen integrieren.
Folgende Fragen standen dabei im Mittelpunkt:
- Trägt die Online-Präsentation problematischer visueller Darstellungen zur Reproduktion diskriminierender, rassistischer oder sexualisierender Anschauungen bei?
- Sollen Bilder, die ohne die Zustimmung der abgebildeten Personen aufgenommen wurden, im Internet verbreitet werden, oder stellt dies möglicherweise eine neue Form von Diskriminierung dar?
- Wie lässt sich der Mangel an Kontextinformationen in zahlreichen Beständen beheben?
- Wie können wir unserer Verantwortung gerecht werden, Sammlungen zugänglich zu machen und gleichzeitig Fragen der Ethik und Sorgfalt bei der Kuratierung von Online-Katalogen zu berücksichtigen?
Grundsatz
Das Bildarchiv setzt sich für antirassistische und dekoloniale Anliegen ein, distanziert sich von herabwürdigendem Sprachgebrauch und setzt sich für eine kritische und sorgfältige Auseinandersetzung mit diskriminierenden bzw. kolonialen Kontexten ein. Die Ergänzung durch vertiefende Informationen und die Einarbeitung aktueller Forschungsergebnisse ist unser Ziel und ein kontinuierlicher Diskussions- und Lernprozess.
Massnahmen
Die Digitalisierung und Online-Präsentation diskriminierender Bilder ist mit verschiedenen Herausforderungen verbunden. Sie kann zur Reproduktion von stereotypen, rassistischen oder sexualisierenden Anschauungen führen, die wir nicht teilen. Solche Bilder können zudem mehrere Persönlichkeitsrechte wie das Recht am eigenen Bild, das Recht auf Menschenwürde (auch des Opfers und seiner Angehörigen), das Recht auf Intimsphäre (Sexualität, Religion, Gesundheit) und Privatsphäre verletzen.
Wir haben Massnahmen auf Ebene Sprache und Metadaten sowie zu den visuellen Bildinhalten getroffen. Um Forschung auch von kolonialen Verflechtungen zu ermöglichen, sollen zeitgenössische, aus heutiger Sicht sensible Begrifflichkeiten in den Metadaten recherchierbar bleiben:
- Diskriminierende Bildtitel werden nicht entfernt, sondern mit [historische Bezeichnung] gekennzeichnet und mit diskriminierungsfreien Formulierungen ergänzt.
- Im Metadatenfeld „Originaltitel“ sind die Metadaten in ihrer ursprünglichen Form dokumentiert und mit [historischer Originaltitel] gekennzeichnet.
- Im eigens neu eingerichteten Metadatenfeld „Hinweise zum Entstehungskontext“ sollen wenn möglich die Metadaten mit aktuellen Perspektiven ergänzt und kontextualisiert werden. Wir arbeiten hier vornehmlich mit Textbausteinen.
- Wir versuchen nach bestem Wissen und Gewissen, Bilder mit sensiblen Inhalten nicht unkommentiert ins Netz zu stellen. Es gibt dabei auch Fotografien mit inszenierten Szenen.
Bei den visuellen Bildinhalten werden Darstellungen von Nacktheit, von Gewalt oder von rituellen oder zeremoniellen Handlungen zunächst nur unter Vorbehalt veröffentlicht. Die Bilder
- werden ggf. mit einem Wasserzeichen versehen und nicht angezeigt
- können ggf. nicht heruntergeladen werden
- können für wissenschaftliche Zwecke bestellt werden
- werden ggf. nicht nach Google-Bilder und Portale Dritter exportiert, um missbräuchlicher und dekontextualisierter Nutzung vorzubeugen.
Falls Sie in unserer Bilddatenbank E-Pics Bildarchiv weitere Bilder mit diskriminierenden, rassistischen oder sexualisierenden Inhalten finden, sind wir für Ihr Feedback dankbar. Bitte senden Sie Ihre Kommentare per E-Mail an bildarchiv@library.ethz.ch.
Umsetzung
In einem nächsten Schritt konnten von den 1 Million online verfügbaren Bildern des Bildarchivs ca. 2,5 ‰ Bilder mit (eindeutig) sensiblen Inhalten identifiziert werden. Wir haben diese in Bildgenres eingeteilt. Folgende Bildgenres sind vorhanden:
- Anthropometrie
- Armut
- Behinderung
- Blackfacing
- Diffamierung
- Ethnie/Religion
- Geheime Anlässe
- Gewalt
- Inszenierung
- Intim-/Privatsphäre
- Krankheit
- Nacktheit
- Nationalsozialismus
- Personen ohne Namen
- Seximus
- Unfall
Die unterschiedlichen Bildgenres erfordern eine differenzierte Herangehensweise. Hierfür wurden Textbausteine zur Rekontextualisierung der Bildgenres definiert, die Metadaten überarbeitet, ohne die ursprünglichen Inhalte zu verlieren, Bilder mit Wasserzeichen versehen und für den direkten Download gesperrt.
1. „Harte“ Massnahmen: keine Anzeige (Wasserzeichen), kein Download, kein Export nach Google-Bilder
In der ersten Massnahme-Kategorie fallen Bilder, die wir nur noch mit dem Wasserzeichen „Sensibler Inhalt – Für wissenschaftliche Zwecke auf Anfrage verfügbar“ veröffentlichen, die Metadaten sind weiterhin abfragbar, diese wurden ggf. überarbeitet. Der Originaltitel wird ggf. gekennzeichnet und ein Textbaustein im Feld „Hinweis zum Entstehungskontext ergänzt.
Die Bilder können auf E-Pics Bildarchiv nicht mehr heruntergeladen werden, auch wenn dies die Nutzungsrechte zulassen würden, und sie werden auch nicht nach Google oder andere Plattformen exportiert. Für wissenschaftliche Zwecke, die explizit nachgewiesen werden müssen, können die Bilder in kleiner Auflösung bestellt werden. Kommt eine Veröffentlichung zu einem späteren Zeitpunkt in Betracht, so ist diese genehmigungspflichtig.
Die Genres Anthropometrie, Gewalt, Geheime Anlässe, Intim-/Privatsphäre, Nacktheit fallen in der Regel in diese Massnahme.
Beim ersten Beispiel handelt es sich um eine Darstellung von Gewalt. Die Metadaten lauten wir folgt:
Fotograf: Mittelholzer, Walter
Titel: Hingerichteter Schwerverbrecher, zur Abschreckung in Baum aufgehängt
Originaltitel: Hingerichteter Schwerverbrecher, zur Abschreckung in Baum aufgehängt
Enthalten in: Abessinienflug, Hinflug 2.2.1934-23.2.1934, Rückreise 1934
Hinweise zum Entstehungskontext: Eine schonungslose Darstellung kann nötig sein, um einem Sachverhalt gerecht zu werden. Dennoch erfordern Ereignisse, von denen Aufnahmen von Gewalttaten publiziert werden, einer sorgfältigen u. a. strafrechtlichen Relevanzprüfung. Bei verstörenden Aufnahmen üben wir grösste Zurückhaltung
Bei den Metadaten (Titel, Beschreibung und Enthalten in) wurden keine Veränderungen vorgenommen, das wäre sonst gekennzeichnet.

2. „Weiche“ Massnahmen: kein Download, kein Export nach Google-Bilder
Das folgende Bild haben wir dem Genre „Anthropometrische Aufnahmen“ zugewiesen. In der Regel werden diese Bilder aufgrund des bildnerischen Inhalts nicht mehr angezeigt und fallen in die Kategorie „harte“ Massnahmen (1). Die Genres Ethnie/Religion und Nationalsozialismus fallen in der Regel in diese Massnahme.
In diesem Beispiel handelt es sich visuell gesehen jedoch nicht um ein typisches menschenunwürdiges Vermessungsbild, sondern die Originalnotizen in der Beschreibung von Arnold Heim, dem Fotografen, lassen auf diese Absicht schliessen. Das Bild kann angezeigt werden.
Die einschränkenden Massnahmen in dieser Kategorie umfassen Folgendes: Die Bilder können auf E-Pics Bildarchiv nicht mehr heruntergeladen werden, auch wenn dies die Nutzungsrechte zulassen würden, und sie werden auch nicht nach Google oder andere Plattformen exportiert. Für wissenschaftliche Zwecke, die explizit nachgewiesen werden müssen, können die Bilder in kleiner Auflösung bestellt werden. Kommt eine Veröffentlichung zu einem späteren Zeitpunkt in Betracht, so ist diese genehmigungspflichtig.
Fotograf: Heim, Arnold Titel: Watussi-Frau bei der Kaffee-Ernte Originaltitel: Watussi-Frau bei der Kaffee-Ernte Beschreibung: Originalbeschreibung von Arnold Heim: Haartracht und Gesichtsschnitt der Watussi zeigen ihre edle Abstammung von den alten Ägyptern. Es sind Halien, verwandt den Abessiniern, aber keine Neger, trotz ihrer schwarzen Hautfarbe Enthalten in: Virunga-Expedition (Zentralafrika), Band 2, 1954-1955. Album mit 61 Bildern (alle digitalisiert) Hinweise zum Entstehungskontext: Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein haben Wissenschaftler:innen und Fotograf:innen Einzelpersonen und Gruppen von Menschen abgebildet, um so genannte «Typen» zu schaffen. Dazu gehörten auch Inszenierungen von Körpern und Körperteilen. Die Reduzierung von Menschen auf «Forschungsobjekte» ist äusserst fragwürdig.
Aufgrund der Angabe „Originalnotizen“ wird auf die Kennzeichnung [historischer Begriff] hinter den problematischen Ausdrücken verzichtet.

Das folgende Bild fällt in das Bildgenre für Ethnie/Religion und soll unseren angepassten Umgang mit den Metadaten verdeutlichen.
Fotograf: Heim, Arnold
Titel: "Negerhütte" [historische Bezeichnung], La Boveda, Jerez
Originaltitel: "Negerhütte", La Boveda, Jerez [historischer Originaltitel]
Enthalten in: Spanien-Marokko, 1932. Album mit 303 Bildern + 16 zusätzlichen Bildern und 27 Abzüge bzw. Kontaktabzüge, Total 179 Negative (alle digitalisiert)
Hinweise zum Entstehungskontext: Die Darstellung von fremden Kulturen und Menschen ist in der Regel vorurteilsbehaftet. Die klare Unterscheidung zwischen «uns» und «den anderen» dient in der Regel zur Festigung und Kontrolle bestehender Machtverhältnisse. Bilder, die in diesem Kontext entstanden sind, zeigen Menschen oftmals auf eine stereotypisierende, wertende und herabwürdigende Art. - Titel: Zeitgenössische, in der modernen Sprache nicht mehr verwendete Begrifflichkeiten.
Weil Arnold Heim im Titel das N-Wort in Anführungszeichen gesetzt hat, haben wir es so stehen lassen, aber mit dem Zusatz [historische Bezeichnung] versehen. Im Originaltitel heisst es dann [historischer Originaltitel]. Sobald wir an den Metadaten Veränderungen vorgenommen oder Zusätze ergänzt haben, geben wir dies im Feld „Hinweise zum Entstehungskontext“ wie folgt an: „Titel: Zeitgenössische, in der modernen Sprache nicht mehr verwendete Begrifflichkeiten.“

3) Milde Massnahme: Download, kein Export nach Google-Bilder
Die Bilder dieser Massnahme können auf E-Pics Bildarchiv heruntergeladen werden, sofern dies die Nutzungsrechte zulassen. Sie werden aber nicht nach Google oder andere Plattformen exportiert. Der Originaltitel wird ggf. gekennzeichnet und ein Textbaustein im Feld „Hinweis zum Entstehungskontext ergänzt.
Die Genres Armut, Blackfacing, Krankheit, Sexismus, Nationalsozialismus fallen in der Regel in diese Massnahme.
Das Beispiel von Leo Wehrli fällt in die Kategorie Sexismus. Wir haben die Metadaten bereinigt, obwohl sie auf dem Glasdia so vermerkt sind.
Fotograf: Wehrli, Leo
Titel: Tunis, Frau
Originaltitel: Tunis, Weibchen [historischer Originaltitel]
Hinweise zum Entstehungskontext: Dargestellte bzw. beschriebene Personen werden auf ihren Körper oder ihr Geschlecht reduziert. - Titel: Zeitgenössische, in der modernen Sprache nicht mehr verwendete Begrifflichkeiten.

Ein weiteres Beispiel, das aufgrund der Metadaten bearbeitet wurde, fällt ebenfalls in die Kategorie Ethnie/Religion. Die Postkarte kann nicht heruntergeladen werden, weil die Nutzungsrechte nicht geklärt sind. Dies wird mit dem Wasserzeichen „Eingeschränkte Nutzungsrechte“ angezeigt.
Fotograf: Unbekannt
Titel: Mohrenbrunnen (Mohren Joggeli) [historische Bezeichnung]
Originaltitel: Mohrenbrunnen (Mohren Joggeli) [historischer Originaltitel]
Hinweise zum Entstehungskontext: Die Darstellung von fremden Kulturen und Menschen ist in der Regel vorurteilsbehaftet. Die klare Unterscheidung zwischen «uns» und «den anderen» dient in der Regel zur Festigung und Kontrolle bestehender Machtverhältnisse. Bilder, die in diesem Kontext entstanden sind, zeigen Menschen oftmals auf eine stereotypisierende, wertende und herabwürdigende Art. - Titel: Zeitgenössische, in der modernen Sprache nicht mehr verwendete Begrifflichkeiten.

4) Milde Massnahme: Download, Export nach Google-Bilder
Die Bilder dieser Massnahme können auf E-Pics Bildarchiv heruntergeladen werden, sofern dies die Nutzungsrechte zulassen und sie werden auch nach Google oder andere Plattformen exportiert. Der Originaltitel wird ggf. gekennzeichnet und ein Textbaustein im Feld „Hinweis zum Entstehungskontext ergänzt.
Das Genre Personen ohne Namen fällt in der Regel in diese Massnahme.
Fotograf: Heim, Arnold
Titel: Aimara (Eskimotyp) [historische Bezeichnung]
Originaltitel: Aimara (Eskimotyp) [historischer Originaltitel]
Enthalten in: Argentinien und Chile, 1946. Negativ-Album mit 171 Bildern, mit Negativen zu den Alben 45-46 (alle digitalisiert)
Hinweise zum Entstehungskontext: Bis weit ins 20. Jahrhundert hinein haben Fotograf:innen in der Regel nicht die vollständigen und/oder korrekten Namen der abgebildeten Personen angegeben. Wir freuen uns über zusätzliche Angaben, die dazu beitragen, nicht verzeichnete Namen zu ermitteln und Personen zu identifizieren. - Titel: Zeitgenössische, in der modernen Sprache nicht mehr verwendete Begrifflichkeiten.

Nächste Schritte
Die Arbeiten an den rund 2’500 Bildern wurden am 3. Dezember 2024 abgeschlossen. Der publizistische Leitfaden des Bildarchivs wird nun aufgrund der konkreten Erfahrungen überarbeitet. Geplant ist seine Publikation Anfang 2025 in der ETH Research Collection. Wir werden auch hier darüber informieren.
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