Auch Schiffe erzählen Welt-Geschichte(n)

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  1. August Berlinger
    Wednesday, 18 October 2017
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    Frage an Jürg Meister:
    Mir ist aufgefallen, dass in der Zeit um den ersten Weltkrieg praktisch alle Kriegsschiffe und auch Zivilschiffe einen senkrechten Bug und ein nach aussen abfallendes Heck haben. War das der Stand der damaligen Kenntnisse der Wasserdynamik oder einfach ein Modetrend. Für eine Aufklärung bin ich dankbar.
    August Berlinger
    – PS: Das Grau vieler deutscher Kriegsschiffe der damaligen Zeit stammte aus dem Glarnerland. Schiefermehl aus der Abfallverwertung der Schiefertafelfabrikation in Elm.

    • Jürg Meister
      Thursday, 19 October 2017
      Reply

      Lieber Herr Berlinger,

      Ihre interessante Rückfrage könnte zu einer mehrbändigen Schiffbaugeschichte ausarten… ich versuche, mich kurz zu fassen, zumal mir als Nicht-Ingenieur auch bestimmte Hintergründe fehlen.

      Zunächst war ja Schiffbau über Zeiten und Kulturen hinweg ein Handwerk, welches klassisch tradiert wurde – Erfahrungen aller Art flossen permanent ein, der Blick über den Zaun hin zu anderen Schiffsbautraditionen brachte Impulse – so konnte man so etwa Mitte des 19. Jh., dem beginnenden Höhepunkt des Segelschiffbaus, recht eigentlich von einer Schiffbaukunst reden, welche erstaunlichste Resultate noch ohne hydrodynamische Theorien und ohne wissenschaftlich gestützte Physik zwischen Segeln und Wind generierte.

      Der „deus ex machina“ , welcher nun den gewachsenen Wissenskanon um das Segelschiff innert relativ kurzer Zeit an den Rand drängte, war – wen wundert es – die Technologierevolution durch die Dampfmaschine, diese noch akzentuiert durch die Einführung der Eisen- und Stahltechnologie in ein Gebiet, welches bis anhin vom Holzbau dominiert wurde. So grob zwischen 1840 und 1900 hat sich die Schiffbaukunst zu einer Schiffbautechnik entwickelt, die sich vorerst darum bemühte, das Beste aus den Segler-Zeiten für das Dampfschiff nutzbar zu machen – die Hydrodynamik hat sich parallel dazu als Wissenschaft weiterentwickelt und begann, zögernd auch den Schiffbau zu beeinflussen.

      Vorerst aber können wir feststellen, dass in einer ersten Phase die Dampfschiffe aus Eisen/Stahl die äusseren Formen der Segelschiffe übernommen haben, zumal oft noch Hilfsbesegelungen installiert wurden, weil man dem Wind noch fast besser traute als den Maschinen. Diese äusseren Formen wurden – stark simplifiziert – so ausgestaltet, dass ein möglichst grosser Ueberhang am Bug und am Heck entstand: der sog. Klippersteven und das Seglerheck, beide zeichnen sich eben dadurch aus, dass der Schiffskörper vorne und hinten über die Wasserlinie hinaus verlängert ist. Grund: das Rigg, die Bespannung der Masten musste möglichst weit nach vorne und hinten reichen, damit die Längs-Stabilität des ganzen Mastgefüges gesichert war und auch noch Längssegel („Stagsegel“) für bessere Am-Wind-Eigenschaften aufgezogen werden konnten. Fazit: die frühen Dampfschiffe, zivil oder militärisch, hatten stark nach vorne und hinten ausfallende Formen.

      Mit der Zeit und mit der Vervollkommnung der Antriebsmaschinen merkte man aber, dass Hilfsbesegelung überflüssig ist – und damit auch der ausfallende Bug, welcher nur Material kostete – und last but not least – auch Geld: manche Gebühren im Hochseeverkehr (Liegekosten in einem Hafen, Schlepper, Kanalbenutzungen, etc.) berechneten sich nämlich nach der totalen Schifflänge! Somit wurde der Schiffsbug ab etwa 1885 fast standardmässig senkrecht. Am Heck wurde vorerst noch nicht herumlaboriert. Die Aenderungen an jenem Schiffsteil setzten sich erst ab etwa Mitte der Zwanzigerjahre durch, dazu ein Wort noch weiter unten.

      Nun viel konkreter zu Ihrer Frage: Kriegsschiffe unterliegen zwar schifffbautechnisch in etwa den gleichen Regeln wie andere Schiffe, aber es kommen eben die militärischen Komponenten dazu – und die haben wieder ihre eigene Geschichte. Zur Zeit Nelsons basierten die Segel-Kriegsflotten einerseits auf seitwärts aufgestellter Artillerie, aber stets und immer bestand immer der gefechtstaktische Hintergrund des Rammens feindlicher Einheiten. Deshalb waren Kriegsschiffe unterhalb des Klipperstevens oft mit einem „Rammsporn“ ausgerüstet, einem auf Höhe der Wasserlinie oder etwas darunter angebauten massiven „Spiess“. Das war übrigens schon bei den römischen Galeeren so und kann bequem am Nachbau auf dem Genfersee beobachtet werden¨. Nachdem die Segel von den Kriegsschiffen verschwunden waren … blieb der Rammsporn! Praktisch alle Kriegsschiffe der Epoche vor dem Ersten Weltkrieg (ausgenommen vielleicht die allerneuesten Einheiten) waren am Bug so gebaut, dass dieser konkav nach vorne ausgestaltet war und der vorderste Punkt des Schiffes etwas unterhalb der Wasserlinie lag. So konnte ein feindliches Schiff durch Rammstoss ernsthaft beschädigt werden und das eigene Schiff hatte „nur“ einen gestauchten Rammsporn zu reparieren…

      Also nichts von Hydrodynamik sondern Heraklit – der Krieg ist die Mutter aller Dinge…. Der von Ihnen angesprochene Bugwulst als hydrodynamischer Vorteil war vielleicht in der Theorie schon bekannt, aber in der Praxis des Schiffbaus wurde er erst – und dies sehr zögerlich – erst ab etwa 1928/30 (SS „Bremen“ und „Europa“) versuchsweise und in schwacher Ausprägung eingeführt. Von den heute akribisch gerechneten Wulsten mit ökonomischem Hintergrund (Verringerung des Gesamtwiderstands) hatten die „Ritter des Rammsporns“ keine Ahnung…

      Die uns bekannten und elegant erscheinenden Bugformen mit Ausfall von „oben vorne“ nach „hinten unten“ (also gewissermassen das Gegenteil des Rammsporns) erschienen ganz langsam und zögerlich ab etwa 1925 – die Gebührenordnungen in den Häfen und Kanälen hatten zwischenzeitlich mehrheitlich von der Schiffslänge auf den Rauminhalt umgestellt, man war also in dieser Hinsicht weniger Zwängen unterworfen. Die Entwicklung hin zu den heutigen Bugformen war ein Prozess mit zwei unterschiedlichen Motivationen. Erstens liessen sich so Formen finden, welche eintreffende Wellen besser „schneiden“ und seitlich wegschieben liessen (=Hydrodynamik) und zweitens war es auch ein ästhetischer Wandel.

      Die Heckformen wurden ebenfalls vom Kriegsschiffbau beeinflusst: die von der Segelschiffzeit her stammenden ausladenden Hecks wurden als empfindlich eingestuft, man hat kompaktere Formen entwickelt, dieser Prozess gipfelte im sog. „Kreuzerheck“, welches den Kriegsschiffbau über Jahrzehnte geprägt hat und nach dem ersten Weltkrieg langsam auch bei den zivilen Schiffen Einzug hielt. Das heute vielfach übliche Spiegelheck stammt aus dem Yachtbau und ist eine Erscheinung der letzten vielleicht drei Jahrzente – nicht zuletzt einfacherer und billigerer Bau, die Hydrodynamik spielt an dieser Stelle vor allem unter Wasser – im Bereich der Schrauben.

      Mit freundlichen Grüssen
      Jürg Meister

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