Die „schlagkräftige Crowdsourcing-Community“ der ETH-Bibliothek war die letzte Hoffnung der Neuen Zürcher Zeitung, wie Adi Kälin gestern im ganzseitigen Artikel „Das Geheimnis der 160 Wahlfotos“ zu unserem Aufruf vom 5. Februar 2018 schrieb. Und – unser Aufruf war tatsächlich von Erfolg gekrönt!
Zeitzeugen berichten
Und zwar meldete sich mit Camille Bamert nicht nur ein Alumnus der ETH Zürich – er hatte Elektroingenieur studiert und war zuletzt als Leiter der Softwareentwicklung in einer Schweizer Industriefirma tätig gewesen-, sondern auch ein Zeitzeuge! Welch ein Glücksfall! Camille Bamert selber arbeitete in den Jahren 1972 und 1973 als Hilfsoperateur im gesuchten Rechenzentrum. Er wusste, dass die abgebildeten Computer Teil eines IBM-Rechenzentrums waren, das an der Dreikönigsstrasse 24 in Zürich stand – hinter einem Schaufenster, durch das man die riesigen Maschinen des Systems 360 betrachten konnte. Als Besonderheit gab es optische Belegleser, die einfache handschriftliche Aufzeichnungen wie Zahlen oder Wörter erkennen konnten.
Mit dem möglichen Einsatz des Computers bei Wahlen und Abstimmungen hatte man sich seit längerem befasst; am 1. Februar 1970 sollte nun im Wahlkreis 11 ein Grossversuch durchgeführt werden. Dazu hatte man – mit einer Ausnahmebewilligung des Kantons – einen Stimmzettel entwickelt, auf dem die Abstimmungsfrage nicht mehr mit einem handschriftlichen Ja oder Nein beantwortet werden sollte, sondern mit einem Kreuz an der richtigen Stelle. Auf dem Zettel selber wurde den Stimmberechtigten allerdings versichert, dass man zuerst per Hand auszähle und erst anschliessend als Test den Computer einsetze. „Versuch mit neuen Stimmzetteln gelungen“, titelte tags darauf der „Tages-Anzeiger“. Der Reporter hatte beobachtet, dass die Leute den Stimmzettel korrekt ausgefüllt hatten. Ob die Computer auch korrekt nachzählten, teilte er der Leserschaft nicht mit.
Der Einsatz von Computern in der Verwaltung steckte damals noch in den Kinderschuhen – und war bei Abstimmungen höchst umstritten. Die NZZ meldete, dass die Stadtverwaltung am 17. Juni 1968 „als erste moderne Computeranlage“ eine Bull-General Electric 127 mietweise in Betrieb genommen habe. Die Miete habe allerdings die Stadtkasse mit mehr als einer halben Million Franken pro Jahr belastet. Beim Statistischen Amt und beim Steueramt waren bereits seit 1965 Kleincomputer im Betrieb.
Bei der Abstimmung vom 1. Februar 1970 ging es um den Bau des Krankenheims Entlisberg, Geld für Schulreisen und die Verlängerung der Emil-Klöti-Strasse. Auf kantonaler Ebene fand die Ersatzwahl für Regierungsrat Ernst Brugger statt, der in den Bundesrat gewählt worden war. Gewählt wurde der Freisinnige Hans Künzi. Frauen durften an diesem Tag bereits zum zweiten Mal über lokale Angelegenheiten mitbestimmen. Zum ersten Mal war dies am 2. November 1969 der Fall gewesen. Damals war die Kandidatur Zürichs für die Olympischen Winterspiele 1976 haushoch verworfen worden.
Eine schöne Bildstrecke mit pointierten Legenden in der NZZ
Was wir in der Bilddatenbank nicht machen, ist, mit pointierten Legenden die Bilder kommentieren. Wir beschreiben sachlich-nüchtern und möglichst objektiv, was auf den Bildern zu sehen ist. Deshalb lassen wir für einmal auch die Legenden der NZZ sprechen.
„Frauen durften in Zürich erstmals am 2. November 1969 über städtische Geschäfte abstimmen. Am 1. Februar 1970, als diese Bilder entstanden, war schon das zweite Mal. Um am 8. März desselben Jahres konnten sie erstmals über die Zusammensetzung von Stadt- und Gemeinderat mitentscheiden.“
„Manche der älteren Herren im Wahllokal mag das Bild der abstimmenden Frauen noch etwas irritiert haben.“
„Zeittypisch und stilgerecht werden die Urnen per VW-Bus ins Wahlbüro gebracht.“
„Es darf ausgezählt werden – zunächst von Hand, wie man es gewohnt ist, danach versuchsweise per Computer.“
„Stadtpräsident Sigmund Widmer überwacht persönlich den Versuch mit computerlesbaren Stimmzetteln im Wahlkreis 9.“
„Im IBM-Rechenzentrum an der Dreikönigstrasse werden die Stimmzettel dann nochmals ausgewertet – hinter riesigen Schaufenstern, durch die man den Vorgang beobachten konnte.“
„Stimmzettel einlegen und den Knopf drücken!“
„Das Medieninteresse am Versuch mit dem maschinellen Stimmzettelzähler war gross – ebenso an der dazu benützten Kamera.“
„Das Herz der Maschine, ein IBM-Computer System 360.“
„Die damaligen Computer hatten eine beachtliche Grösse und kosteten dementsprechend viel.“
Vollständige Bildinformationen
Vogt, Jules: Zürich, Kindergartenlokal, Nordheimstrasse, Victoria Merz, Schweizer Bürgerin aus Ghana an der Wahlurne. Gemeindewahlen Zürich, 1970. Reportage mit 165 Bildern (Auswahl digitalisiert) (Com_L19-0071-0004-0001, http://doi.org/10.3932/ethz-a-000985639)
DOI Link: https://doi.org/10.35016/ethz-cs-5135-de
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