1968 war ich 15 Jahre alt und wohnte mit meiner Mutter und zwei Geschwistern 3 km oberhalb Linthal an der Klausenstrasse, in den sog. Fruttbergen. Der Klausenpass verbindet Linthal (GL) mit Altdorf (UR). Der Urnerboden ist im Winter nur von Linthal her zugänglich. Die Strasse wird jeweils vom Urnerboden her nach Linthal geöffnet. Es ist normal, dass jeden Winter hin und wieder die Strasse wegen Lawinengefahr und Rutschungen gesperrt wird
Wer ins Tal musste, benutzte Ski
Der Winter 1968 war aber extrem, zeitweise wurden in den Fruttbergen bis zu 3 Meter Schnee gemessen. Die Strasse war zwei Monate nicht passierbar. Wer ins Tal musste, benutzte Ski und stieg bei der Rückkehr mit Fellen hoch, natürlich nur, wenn es die Verhältnisse erlaubten, je nach Gefährlichkeit wurden verschiedene Wege benutzt.
Auch die damals sechs Schulpflichtigen benutzten diese „Fortbewegungsart“. Drei übernachteten unter der Woche im Tal, die andern gingen täglich wieder nach Hause und brachten zugleich Lebensmittel und die Post mit. Besonders nach Schneefällen gab es Situationen, wo man sich nur innerhalb den Liegenschaften bewegen durfte, so hatten die Schulkinder über den ganzen Winter zwei Wochen zusätzlich „schulfrei“. Eine Woche lang waren die Fruttberge ohne Strom und teilweise ohne Telefonverbindung.
Meine Schwester und ich besuchten damals die Schule, über Mittag gingen wir wie immer zu einer Tante im Tal. Je nach Lawinensituation mussten wir verschiedene Wege benutzen, insgesamt gab es drei. Wie alle in den Fruttbergen hatten wir einen Bergbauernhof und mussten über den Winter in drei Ställen das Vieh versorgen. Einem älteren Ehepaar, das oberhalb von uns wohnte, brachte ich hin und wieder Lebensmittel. All diese Skispuren und Fusswege sind auf dem Luftbild vom 27. März 1968 beim Vergrössern sichtbar ebenso die Lawinenzüge und Rutschungen.
„Meine“ Fuss- und Skiwege und andere.
Schulwege, drei Varianten, je nach Situation.
Lawinenzüge
Die Lawinen waren eine grosse Gefahr, unter anderem die sog. Fruttlaui. Als Staublawine drang sie bis ins Tal vor und verschüttete die Klausenstrasse insgesamt vier mal und ein grosser Teil unserer Wiese, hinterliess Dreck, Steine, Baumstämme und Äste, was im Frühjahr mühsam gesäubert werden musste.
Das war auch der Grund, warum die Strasse nicht so schnell geöffnet werden konnte. Eine Schneeschleuder konnte kaum benutzt werden, es waren Schaufelbagger im Einsatz. Bei der sog. S-Kurve ausgangs Linthal bestand durch den Lawinenzug sogar ein Tunnel.
Die „Reklametafel“ im Vordergrund gäbe auch mal einen Blogbeitrag.
Rutschungen
Auch Rutschungen machte dem Strassenräumungsdienst arg zu schaffen. Innerhalb eines Tages blockierte der Schneedruck in der Nähe des Restaurant Bergli die ganze Strassenbreite. Am Abend wurde jeweils geöffnet, so dass die Strasse abends und morgends passierbar war. Im sog. Unterbergli erwies sich der Schneedruck so stark, dass ein öffnen lange Zeit unmöglich war. Die Güter wurden dann mit einem Hornschlitten über den Schnee gezogen.
In der Folge sind diese Gebiete aufgeforstet worden, heute steht dort ein dichter Wald der die Ansicht der Fruttberge innerhalb kurzer Zeit stark veränderte.
Lawinenverbauungen
Die Anrissgebiete sind heute mit Lawinenverbauungen gesichert. Auch baulich ist die Strasse Linthal-Urnerboden sicherer geworden. Dort wo an Ostern 1978 vier in Deutschland stationierte britische Militärangehörige in einer Lawine ums Leben kamen, ist die Staldengalerie auf einer Strecke von 200 Meter gebaut worden. Die Verunglückten waren damals zum Biathlon Training auf dem Urnerboden und wollten verbotenerweise ins Tal.
Die enge und gefährliche Strecke bei den beiden Fruttwandgalerien ist heute durch ein durchgehendes Tunnel befahrbar.
Weitere Bilder Winter 1968, alle aus dem Archiv Heinrich Stüssi.
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Vollständige Bildinformationen
Swissair Photo AG: Linthal, Ortstock, Klausenstrasse, 27.3.1968 (LBS_P1-680841, http://doi.org/10.3932/ethz-a-000306488) und auf sMapshot: https://smapshot.heig-vd.ch/contribute/105935
Toller Beitrag! Als Gümmeler kenne ich die Klausenstrasse aus der Velofahrerperspektive, d.h. ich weiss genau, wie jede Kurve aussieht, weiss, welcher Abschnitt wie steil ist, usw. und merke mir die Umgebung und die Details vor allem als Kulisse vor dem inneren Tunnelblick. Der Beitrag eröffnet mir den Blick hinter diese Kulisse, liefert aha-Erlebnisse, die über meinen schweissgebadeten Wahrnehmungshorizont hinausreichen und diesen fortan erweitern und bereichern. Besten Dank dafür! Und Gratulation zu diesem Paradebeispeil eines sowohl informativen und unterhaltenden Blog. Ein grossartiger Service!
Ganz hervorragender Beitrag, herzlichen Dank! Sehr eindrücklich, die Beschreibung des Winters 68. Und dieser Schulweg! Anhand der Fotos mit den Kommentaren und eingezeichneten Wegen/Lawinen etc. kann man alles gut nachvollziehen. Gerne mehr Beiträge von Herrn Zweifel!
So sah der Tunnel aus:
/Users/AugustBerlinger/Pictures/klausenstrasse_winterdienst_tunnel_1968-02-15©nn.jpg